Was Sprechen mit Denken und Lesen zu tun hat

Eine Sprache lernen – wie funktioniert das? Und wie lernen wir überhaupt unsere Muttersprache? Eines ist dabei ganz wichtig: Sprache kommt von Sprechen. Und Zuhören und Sprechen ist auch das, was wir am häufigsten mit einer Sprache tun, die wir beherrschen. Sogar wenn wir denken und lesen, tun wir eigentlich nichts anderes, als innerlich zu sprechen. Das möchte ich ein wenig genauer erklären.

Der russische Psychologe Vygotsky hat eindrucksvoll beschrieben, wie stark Denken und Sprechen miteinander verknüpft sind. Beim Kleinkind entwickeln sich Denken und Sprache zunächst voneinander getrennt. Das Kind spricht noch nicht wirklich, es gibt Laute von sich, es hört und plappert nach, was es von den anderen Menschen hört. Das ist an sich schon eine erstaunliche Leistung: ich höre etwas, und dann muss ich meinen Mund und meine Zunge richtig bewegen, um das was ich höre, selbst auszusprechen. Und dann auf einmal, geht dem Kind ein Licht auf: es merkt, dass diese verschiedenen Laute – die Worte eben – eine Bedeutung haben.

Dann bemerkt es, dass es für jeden Menschen und jedes Ding, dass es sieht, ein bestimmtes Wort gibt. Das Kind lernt also, drei Dinge miteinander zu verbinden: etwas, was es in der realen Welt sieht, dann ein gehörtes Wort, das dieses „Etwas“ bezeichnet, und die Fähigkeit, dieses Wort selbst auszusprechen. Das ist etwas ganz Fundamentales. Und ganz wichtig: auch wenn diese Person oder dieses „Etwas“ nicht da ist, kann das Kind dann, wenn es sich daran erinnert, wenn es daran denkt, dieses Wort benutzen, um diesen Gedanken auszudrücken, ihn jemand anderem mitzuteilen. Und in dem Moment sind Denken und Sprache ganz fest miteinander verbunden.

Das Sprechen findet normalerweise im Dialog mit einer anderen Person statt. Aber beim Spielen kann das Kind auch sprechen, ohne einen wirklichen Dialogpartner – es spricht dann mit der Puppe, mit der Katze, mit einer imaginären Person, und schließlich mit sich selbst. Und irgendwann spricht das Kind dann mit sich selbst, aber ohne, dass man es hört. Es ist dann nur noch ein „inneres Sprechen“ – das Sprechen ist zum Denken geworden. Und zwar zu einem sehr wichtigen, sehr großen Teil des Denkens.

Dieses Erlernen des „inneren Sprechens“ ist etwa dann abgeschlossen, wenn das Kind in die Grundschule kommt. Dort lernt es dann lesen. Und auch das ist ein ganz ähnlicher Prozess. Lesen lernt ein Kind, wenn ein Erwachsener oder ein älteres Kind ihm etwas vorliest. Das Kind begreift allmählich, dass man diese gesprochenen Wörter, die es ja schon kennt, mit den Buchstaben ausdrücken kann. Nachdem das Kind verstanden hat, wie das funktioniert, beginnt es selbst zu lesen – erst ganz langsam, dann allmählich schneller, aber vor allem: immer erst laut. Das Kind liest laut, es spricht die geschriebenen Wörter aus. Erst, wenn es genug Übung hat, wird es beim Lesen immer leiser, bis es zum Schluss nur noch die Lippen bewegt und schließlich ist auch das Lesen nur noch ein „inneres Sprechen“.

Was nützt uns dieses Wissen jetzt, wenn wir eine Sprache lernen wollen? Es wird deutlich, dass Sprechen die Grundlage dafür ist, dass wir eine Sprache lesen können und dass wir in dieser Sprache denken können. Und darum ist es wichtig, dass man die Fremdsprache, die man lernt, sehr viel spricht. Dass man das Sprechen wenn möglich tagtäglich trainiert. Und wie man das machen kann, welche Trainingsmöglichkeiten es gibt, darüber spreche ich in einem nächsten Beitrag.

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